Mike Silver

am 17.06.2023 in der Baulandhalle

Zugegeben: der Autor dieses Artikels ist hochgradig befangen. Seit dem Abend vor mehr als 30 Jahren, an dem er gemeinsam mit einem Teil des heutigen Kulturkommode-Vorstands in einer kleinen Kneipe in der Nähe von Aglasterhausen zum ersten Mal Mike Silver und seine Songs hören durfte, ist er ein absoluter Fan des sympathischen Engländers und seiner Musik zwischen Balladen und Blues. Kein Wunder also, dass daraufhin eine baldige Einladung nach Osterburken folgte und sich Mike seither auch bei seinem mittlerweile siebten Gastspiel in der Römerstadt auf eine unverändert große und treue Fangemeinde verlassen kann. Und diese weiß, was sie bei seinen Konzerten erwarten darf: reihenweise Songs mit Gänsehaut-Garantie.

Der 77-Jährige ist seit über einem halben Jahrhundert ein herausragender Vertreter der englischsprachigen Singer/Songwriter-Szene – Texte und Kompositionen stammen fast ausnahmslos aus seiner eigenen Feder, die Interpretationen auf der Bühne und auf seinen CDs sind reduziert auf das exzellente Gitarrenspiel und die warme, einfühlsame Stimme. Mike Silver erfindet sich nicht ständig neu. Und er muss es auch nicht. Seine aktuellen Songs hätten genauso gut schon vor Jahrzehnten geschrieben werden können, denn ihre Melodien und Arrangements sind zeitlos. Die Lieder des Songwriters aus Südwestengland sind Musik gewordene Gefühle. In seinen Texten erzählt er poetisch und nachdenklich, wie leicht man Herz und Verstand verlieren kann und wie schwer es ist, wieder Abschied zu nehmen. Es geht um Liebe, verpasste Chancen, ums Nachhausekommen und die Macht des Schicksals. Songs wie „How many rivers“ und „Never too late“ offenbaren, wie viel der Brite in seinen entwaffnend persönlichen und warmherzigen Balladen von sich selbst preisgibt.

Unterhaltsam erzählt er zwischendurch in bestem Anglo-Schwäbisch die Geschichten zur Entstehung seiner Lieder, in denen er auch durchaus politische und sozialkritische Themen („Pretoria“, Angels´ sigh“) oder humorvolle Anekdoten („Oh doctor“) zu verarbeiten weiß. Auch einige wunderbare Stücke von Songwriter-Kollegen hatte Mike mit ins Bauland gebracht und wurde dabei gesanglich begleitet von seiner Frau Julie, die diesmal mit ihm auf Tour gekommen war. Nicht zuletzt durften natürlich auch die Klassiker nicht fehlen, auf die viele seiner Fans gewartet hatten. Nicht allzu überraschend demnach, dass der Refrain von „Old fashioned saturday night“ auf Anhieb und mit viel Hingabe vom Publikum mitgesungen wurde. Dasselbe gilt für „Certain something“, welches er seinem musikalischen Vorbild, dem großen amerikanischen Songwriter James Taylor, gewidmet hat.

Dass Mike Silver im Laufe seiner Karriere leider nie eine ähnliche internationale Bekanntheit erreichte, liegt sicher nicht an der Qualität seiner Kompositionen, die durchweg Ohrwurmcharakter haben und deshalb den Hörer so schnell nicht wieder loslassen. Vielleicht ist es eher seine bescheidene, unprätentiöse Art, die ihn nie auf die großen Bühnen und zu den bekannten Platten-Labels zog. Seine „15 Minuten Ruhm“, wie er es nennt, hatte er dennoch, als sein Song „Not a matter of pride“ eine Zeitlang von britischen Radiostationen gespielt wurde. Das folgende Angebot für einen Playback-Auftritt im Fernsehen bereitete ihm jedoch größtes Unbehagen. Mike Silver ist eben ein Mann für die Bühne, ein überzeugter Live-Performer, der über sich augenzwinkernd sagt, er sei im Laufe der Zeit nicht besser an der Gitarre geworden, sondern lediglich darin, seine Fehler zu verstecken. Vor allem braucht dieser Künstler die Reaktionen seines Publikums. Wenn er spürt, dass er die Menschen, die vor ihm sitzen, mit seiner Musik erreicht, sind das für Mike Erlebnisse, die ihn auch heute noch emotional berühren.

Gerade Osterburken ist eben auch bei seiner vermeintlichen Abschiedstour nach wie vor ein Heimspiel für ihn. Seine Lieder begleiten die Fans hier schließlich seit fast einer Generation und sind nicht selten Seelentröster, Mutmacher oder einfach nur Begleiter für die melancholischen Momente im Leben. „Du bist so ein schönes Publikum“, versucht er auf die ihm eigene Art seine Rührung über die Zuneigung und Begeisterung, die ihm an diesem Abend entgegengebracht wird, in Worte zu fassen. Und man weiß: das ist ernst gemeint. „Dieser Moment der Stille am Ende eines Songs, bevor der Applaus einsetzt“, bekennt Mike Silver, „fühlt sich an wie ein kleines Erdbeben in meinem Herzen und belohnt mich und so viele meiner Musikerkollegen für das Leben unterwegs als Live-Musiker. Das ist es, wofür wir alle leben.“

Text: Martin Hammer
Fotos: Michael Pohl