Matthias Egersdörfer

am 12.11.2022 in der Baulandhalle

„Behalten Sie sich Ihren Hang zum leicht seltsamen Humor“, gab Matthias Egersdörfer am Ende eines denkwürdigen Abends den Zuschauern noch mit auf den Weg. In der Tat: wer den Kabarettisten und Schauspieler nur von seinen Kurzauftritten in verschiedenen Fernsehformaten und als kauzigen Nebendarsteller im Tatort kennt, mag vielleicht urig-fränkische Stand-up-Comedy erwartet haben und durfte im Verlauf des Abends feststellen, dass im Gegenteil ein raffiniert inszenierter Seelenstriptease mit Tiefe und Humor geboten wurde. Die Besucher jedenfalls, die zum ausverkauften Finale des 25. Jahresprogramms der Kulturkommode in die Baulandhalle nach Osterburken gekommen waren, ließen sich gerne darauf ein, dass sie nicht etwa leichte Kost und Schenkelklopfer-Pointen geboten bekamen und dass die ein oder der andere aus dem Publikum auch durchaus mal unfreiwillig ins Geschehen einbezogen wurde.

Vordergründig erzählt der Fürther in seinem aktuellen Programm „Nachrichten aus dem Hinterhaus“ aus seinem Alltag in ebendiesem, wo er seiner Meinung nach von fürchterlicher Nachbarschaft umgeben ist. Und so lästert er erst mal ausgiebig über den Rumpler im ersten Stock, die mehr kotzende als hustende Frau Schlitzbier im Vorderhaus und die unzählige Schmuddelkinder zählende Großfamilie mit der scheinbar überforderten Mutter. Was zunächst tatsächlich wie eine unsägliche Lebenssituation für den bedauernswerten Protagonisten aussieht, wird allerdings eben durch diesen im Verlauf des Abends vor allem als Ergebnis der eigenen sozialen Inkompetenz entlarvt. Dass er sich sogar einen halben Tag lang in seiner Wohnung verschanzt, um nur nicht dem „Gnadenlosen“ aus dem dritten Stock und seinen durchaus freundlich gemeinten Einladungen zu begegnen, ist dafür nur ein Indiz von vielen. Heimlich, still und natürlich gar nicht leise zieht der Egers das Publikum immer tiefer hinein in das kaputte Innere seiner jämmerlichen Hauptfigur. Da kommt es schon mal vor, dass nur ein Blick oder die harmlose Frage „Was kann ich sonst noch für Sie tun?“ dafür sorgen, dass die neurotische Unsicherheit und das Misstrauen gegenüber den Mitmenschen seine Reizbarkeit derart fördern, dass ihm die Galle überläuft.
Woran das liegen mag, wird spätestens in dem Augenblick deutlich, als sich seine verstorbene Mutter in Form einer aus einer Socke selbstgebastelten Handpuppe in die Szenerie einschaltet. Die Zwiegespräche, welche der Protagonist mit der Frau führt, die ihn offensichtlich zeitlebens überbehütet hat, sowie die Phantasien und Ängste, die er in seinen überwiegend negativen Kindheitserinnerungen schildert, lassen den Schluss zu, wer hier wohl einen nicht unerheblichen Anteil an seiner mangelnden Sozialisation hat.
„Das kann nicht gesund sein“, so Egersdörfer in einer entwaffnenden Zwischenbemerkung“, wenn ein erwachsener Mann eine Puppe von seiner Mutter bastelt.“

Auch wenn er bisweilen Mühe hat, zwischen der Wirklichkeit und der eigenen subjektiven Wahrnehmung zu unterscheiden, ist ihm doch bewusst, dass die Umgebung sein Verhalten durchschaut und dass es eigentlich gut wäre, freundlicher zu den Menschen zu sein. Etwas dafür zu tun, erscheint ihm jedoch unmöglich. Diese Spaltung seiner Persönlichkeit kommt insbesondere dann zum Vorschein, wenn es ihm unerwarteterweise dann doch gelingt, Alltagssituationen und sogar das Leben in seinem verhassten Hinterhof in regelrecht positiv-poetische Worte zu fassen. Schließlich schafft er es sogar, sein, den ganzen Abend über angekündigtes („Ich könnte schon viel weiter sein, wenn ich nicht ständig unterbrochen werden würde.“) Manifest für den perfekten Sonntag vorzutragen. Zumindest so, wie er ihn sich vorstellt. Schließlich hat man oft genug das Pech, vierzehn Donnerstage hintereinander zu erleben.

“Nachrichten aus dem Hinterhaus“ ist ein Stück surrealen Theater-Kabaretts, das Matthias Egersdörfer gleichermaßen in seiner darstellerischen Vielseitigkeit und persönlichen Ambivalenz zeigt. Ein Programm mit Komik und Hintersinn, welches auch das Kulturkommode-Publikum fesselte, unterhielt und bisweilen überraschte. Man darf schon jetzt wieder gespannt sein auf das neue Jahresprogramm des Kleinkunst- und Kulturvereins, in dem es ab März 2023 wieder sechs spannende Veranstaltungen geben wird.

Text: Martin Hammer
Fotos: Michael Pohl