Nils Heinrich
Beim Einkaufen versuche er beispielsweise als ebenfalls Betroffener jenen Geschlechtsgenossen zu helfen, die fassungslos vor dem Regal mit Milchprodukten stehen, um den vermeintlich simplen Auftrag ihrer Frau zu erfüllen, einen weißen Naturjoghurt im Glas zu kaufen. Denn für alle Vorlieben gebe es mittlerweile eine eigene Sorte - vom linksgerührten Naturjoghurt bis hin zu Joghurt von Kühen mit Methan-Katalysator. Von den unzähligen veganen Alternativen ganz zu schweigen. Inzwischen könne man sogar Roggendrink in seinen Gerstenkaffee schütten und so sein Vollkornbrot trinken.
Trotz der pointierten Alltagsbetrachtungen in gesprochenen und gesungenen Worten ist Nils Heinrich alles andere als unpolitisch. Als er das letzte Mal vor zwölf Jahren bei der Kulturkommode zu Gast war, sei die FDP aus dem Bundestag gewählt worden und eine gewisse Dorothee Bär wurde Staatsministerin für digitale Infrastruktur. Die Konsequenzen aus diesen erstaunlichen Parallelen möge jeder selbst beurteilen. Auf den Punkt war auch sein höchst aktuell verfasster Text, in dem ein junger Mensch einem 25 Jahre im Tiefschlaf gelegenen Patienten die rasanten Entwicklungen des vergangenen Vierteljahrhunderts erläutern sollte. Was sind Doppel-Wumms, Dunkelflaute und Einweg-Vapes? Gibt es künstliche Intelligenz tatsächlich deswegen, weil sie nicht mehr in natürlicher Form vorkommt? Und warum wurde in den USA zum zweiten Mal ein rechtskräftig verurteilter Präsident gewählt, der aussieht, als würde er seinen Kürbiskopf morgens von einer Zuckerwatte-Maschine frisieren lassen? Erschreckend deutlich wird dabei dem Publikum vor Augen geführt, was sich nicht nur in der weltweiten Ordnung, sondern vor allem im gesellschaftlichen Gefüge und der Parteienlandschaft Deutschlands verändert hat. Dass der 69-jährige Friedrich Merz nun als Hoffnungsträger aus Sachzwängen heraus genau das in seinem Regierungsprogramm umsetzen müsse, was er im Wahlkampf noch als linksgerichtete, grüne Ideologie verspottete, war da nur eine der Absurditäten. Und die Abkehr von seinen Wahlversprechen seien deshalb konsequenterweise eben „Sonderwahrheiten“.